Faszien

Einst nannte man Faszien das „Aschenputtel aller Körperorgane“. Treffender wäre eher der märchenhafte Begriff des Dornröschendaseins, denn erst spät setzte man die klinische Bedeutung der Faszienforschung beim Faszienkongress 2007 in Boston auf die Agenda. Schauen wir uns das Multitalent einmal näher an: Das größte verteilte Sinnesorgan unseres Körpers.
Faszien von Tieren sind zähe bindegewebige milchig-weiße Häute, die etwa das rohe Steak umhüllen. Auch beim Menschen hüllen Faszien die Muskeln ein und grenzen einzelne Muskeln voneinander ab. Selbst die Pflanzenwelt hält Ähnliches bereit: räumlich trennende und zugleich formgebende Häute finden wir in Apfelsinen, Zwiebeln und Grapefruits.
Faszien bilden im gesamten Körper ein durchdringendes Bindegewebenetzwerk aller Körperstrukturen. Sie bestehen zum größten Teil aus straffen, geflechtartig verwobenen Kollagenfasern und Elastin, einem Faserprotein. Diese Gewebeeinheit wirkt über alle Teile des Körpers. Sie sorgen für die Funktionsfähigkeit des Muskelsystems, übertragen mechanische Kräfte und dienen als Stoßdämpfer. Vor allem übernehmen sie eine wichtige Rolle im Bereich des Stoffwechsels und des Immunsystems.
Das Multifunktionsorgan
Das weiße Körpergeflecht ist kein bloßes Füllmaterial, sondern multifunktional: Als eigenständiges zentrales Organ der Körperwahrnehmung schützt und formt es nicht nur den Körper. Ausgestattet mit vielen Nervenendigungen, Schmerz- und Bewegungssensoren, übernehmen Faszien die Kraftübertragung von Muskel zu Muskel, sie sorgen also dafür, dass die Muskeln miteinander zusammen spielen und reibungslos funktionieren.
Spezialisierte Faszien im Körper
Als anpassungsfähige Gewebsteile vereinigen Faszien die Eigenschaften von Flüssigkeiten und Festkörpern. Eben durch diese hohe Viskoelastizität können sich Oberflächen-Faszien deutlich dehnen; sie speichern Körperfett und Wasser; dienen als Puffer- und Dämpferzonen und sind durchgängig für Lymphe, Nerven und Blutgefäße. Vermutlich bildet diese Schicht aus Bindegewebszellen ein körperweites Kommunikationsnetzwerk.
Die weniger dehnbaren viszeralen Faszien sind für die inneren Organe eine Art Hängematte und wickeln diese in Schichten aus Bindegewebemembranen. Wären die viszeralen Faszien zu locker, würden die Organe „wandern“; wären sie zu starr, würden sie die Organ-Mobilität einschränken.
Die wenig dehnbaren Tiefen Faszien bilden dichte und faserreiche Bindegewebe-Schichten und -Stränge. Sie durchdringen und umschließen Muskeln, Knochen, ja sogar Nervenbahnen und Blutgefäße. Sie sind kaum durchblutet, indes mit sensorischen Rezeptoren „bespickt“, die Schmerz signalisieren, aber auch Änderungen von Bewegung, Druck, Temperatur und Schwingungen, aber auch Änderungen des chemischen Milieus. Die Gesamtheit der Faszien avanciert damit zum größten Sinnesorgan des Menschen. Viele tiefe Faszien sind in der Lage, auf eine entsprechende mechanische oder chemische Stimulation mit Kontraktion oder Entspannung zu reagieren, bis hin zu einem allmählichen strukturellen Umorganisieren ihrer inneren Bauelemente.
Faszienstruktur
Zart wie ein Tautropfen-benetztes Spinnennetz aus durchsichtig schimmernden Fäden, gehen kleine Fibrillen nahtlos aus großen Fibrillen hervor. Dieses den Körper durchziehende Gewebenetz ist von einer zähflüssigen Substanz durchtränkt. Bewegungsmangel führt zu einer filzähnlichen Struktur des Fasernetzwerks. Im gesunden Körper bilden die Fasern ein Gewebenetzwerk, das sich ständig auf- und abbaut; es ist enorm anpassungsfähig. Auf wiederkehrende Dehn- und Bewegungsbelastungen reagiert es, indem es seine Länge, Stärke und Gleitfähigkeit verändert. Dabei agieren die körpereigenen Bindegewebszellen – die Myofibroblasten – als aktive Netzgestalter: Nach einer mechanischen Stimulation legen sie mehr Kollagen an, bei Bewegungsmangel bauen sie Kollagen ab. Das lebendige Netzwerk aus Bindegewebe wandelt sich ständig, es kann wuchern oder verfilzen, Nerven einklemmen und Schmerzen auslösen.
Die Massageform – das Rolfing
Sanfte Massage kann ein verklebtes Gewebe wieder lösen. Das sogenannte Rolfing, entwickelt von der Biochemikerin Ida Rolf, ist eine Massageform, die speziell das Bindegewebe erreichen soll. Diese spezielle Massage mit ganz gezielten, langsamen Bewegungen und Griffen wirkt tief in das Gewebe hinein. Rolfing-Therapeuten machen das Bindegewebe ursächlich verantwortlich für Verspannungen, nicht aber den Muskel – auch bei Rückenschmerzen. Vor allem spielen Mikro-Verletzungen in den Faszien eine wichtige Rolle, die durch falsche und einseitige Belastung entstehen. Solche Traumata können Faszien entzünden und zu falschen Signalen führen, die an die Muskeln gehen. Die ausgelöste Muskelstörungen führen zu weiteren Verkrampfungen, und beides zusammen möglicherweise zu chronischen Rückenschmerzen. Dabei kann die Fascia thorakolumbalis im Lendenbereich zur Entstehung chronischer Rückenschmerzen beitragen.
Wenn bei Faszien die Harmonie verloren geht
Für die Gesamtbeweglichkeit des Körpers sind Faszien maßgebend. Durch psychischen Stress, Schonhaltungen oder Bewegungsmangel verkürzen und verhärten sich Faszien. Sie werden dann im Körper umgebaut. Die gut dehnbaren Elastinanteile nehmen ab und sie werden ersetzt durch das zähe, kaum dehnbare Kollagen: Der Grundtonus erhöht sich, sie werden starr und unbeweglich. Die Gleitfähigkeit geht verloren, sie grenzen den Bewegungsspielraum unserer Muskulatur und Gelenke oft schmerzhaft ein.
Faszien erzeugen durch Dehnspannung Kräfte und leiten diese im Körper weiter. Muskeln verstärken die Kräfte um ein Vielfaches. Da alle Faszien untereinander in Verbindung stehen, übertragen sich Spannungen und Unbeweglichkeit in andere Körperteile. Deshalb kann z.B. eine verklebte Wadenfaszie über das Bein einen Zug auf den unteren Rücken ausüben und dort für Bewegungseinschränkungen und Schmerzen sorgen. Je elastischer die Faszien im Körper sind, umso mehr Kräfte werden erzeugt und übertragen. Sie dienen dabei auch als Energiespeicher. Bekanntlich haben Ganzkörperbewegungen, die möglichst lange Muskelketten einbeziehen, eine günstigere Wirkungen auf das myofasciale System als ein isoliertes Muskeltraining.
Faszien-Mobilisation durch gezielten Druck
Allein durch sportliche Bewegung gelingt es nicht, kollagene Verdickungen oder Verklebungen des Bindegewebes aufzulösen und die Faszien langfristig zu mobilisieren. Myofaszien lassen sich jedoch sehr gut durch einen manuellen subtilen Druck lösen und mobilisieren. Verfestigte Gel-artige Kolloide in der Grundsubstanz der Faszien können unter Einfluss mechanischer Kräfte vorübergehend flüssig werden: Nach einer Massage verfestigt sich die Substanz wieder und bleibt dauerhaft „in Form“.

Zahlreiche nervale Rezeptoren in den Faszien wirken als neurologische Schaltstellen. Über einen sensiblen manipulativen Druck übermitteln sie Informationen direkt an das Nervensystem. Das kann zu einer spontanen Tonusveränderung des Gewebes führen. So lässt sich über Faszienmobilisation die Lage der Muskeln und deren Funktion im Körper nachhaltig positiv beeinflussen.

Faszien als Forschungsobjekt
Am Universitätsklinikum Ulm erforscht man, warum Faszien verkleben. Die Experten vermuten, dass Bewegungsmangel oder das Ausschütten von Stressbotenstoffen die Ursache sind. Schmerzauslösendes Verkleben entsteht, weil in diesen Bereichen kaum noch Lymphflüssigkeit vorhanden ist. Solche Verhärtungen und Verklebungen können Faszientherapeuten ertasten. Durch das Verschieben der Fasern untereinander entsteht eine Art Unterdruck und die Flüssigkeit kann sich wieder verteilen und Verklebungen lösen.

Durch ein Magnetfeld lässt sich schmerzfrei eine Problemregion im Gewebe aufspüren. Es wird auch erforscht, ob eine Operation sinnvoll ist, wenn zum Beispiel wichtige Nervenstränge von verdicktem Fasziengewebe zu sehr eingeengt sind.

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Der Ausweg aus Schmerz und Arthrose
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